Wettbewerbsdenken

Ich schreibe ja. Einkaufslisten und Vorlesungsmitschriften, Tagebuch und Terminkalender, Rezepte und Rezensionen, Montagsfragen und wenn die Sterne gerade gut stehen, dann auch Lebensupdates am Mittwoch. Kurzgeschichten, Gedichte, Romankapitel, Glossen und Essays. Alles mit dabei. Das hier ist zum Beispiel ein Essay. Und er dreht sich ganz und gar um eben das: Schreiben – aber nicht irgendeine Art des Schreibens. Nein, nein. Das Schreiben über das ich jetzt schreibe hat eine besondere Bestimmung. Let’s talk about Schreibwettbewerbe. Abyssus meines Daseins.

Sind Schreibwettbewerbe nun wirklich der biblische Abgrund meines Daseins? Höchstwahrscheinlich nicht. Wie jeder, der mich kennt, weiß, ist der Abyssus meines Daseins ganz offensichtlich die Existenz von Menschen, die Freud’sche Psychoanalytik im Jahre 2018 immer noch toll finden. Aber das ist die Geschichte eines anderen Tages. Wir waren ja bei Schreibwettbewerben. Sagen wir einfach, ich habe durchaus eine Hassliebe zu Schreibwettbewerben. Aber ganz auf Anfang.

Wie jeder halbwegs literarisch talentierte und übermäßig ambitionierte Mensch habe auch ich während meiner Schulzeit an Schreibwettbewerben teilgenommen. Ich habe 2015 im zarten Alter von 17 Jahren sogar einen Schreibwettbewerb gewonnen. Einen kleinen, aber hey. Gewonnen ist gewonnen. Und momentan, momentan warte ich gerade wieder auf das Ergebnis eines Schreibwettbewerbs. Nach zweieinhalb Jahren Pause des kompetitiven Kurzgeschichtenschreibens. Und an dieser Stelle darf erst einmal ganz tief geseufzt werden.

Zweieinhalb Jahre Pause waren es also, so so, seit ich das letzte Mal korrekt formatierte Normseiten mit kurzem Lebenslauf und Anschreiben versendet habe, damit Menschen, die ich nicht kenne, mir sagen können ob meine Kurzgeschichte es nun unter die top zwanzig geschafft hat oder dieses Mal leider nicht. Zweieinhalb Jahre hatte ich darauf keine Lust und hier sind wir also und ich schreibe über Schreibwettbewerbe.

Eigentlich war ich ja schon von Beginn davon überzeugt, dass das Projekt ’Schreibwettbewerb-Teilnahme’ von vornherein ein einziger Schuss in den Ofen sein würde. Ich schreibe eigentlich keine Kurzgeschichten, wenn ich nicht gerade dazu genötigt werde. Kurzgeschichten sind mir zu seriös und zu möchtegernintellektuell. Ich schreibe lieber locker flockig wie es eben gerade kommt, frei von der Seele und wenn es schon kurz sein muss, dann sowieso lieber Sachtext als Fiktion. Schreibwettbewerbe sind aus meiner eigenen Empfindung heraus immer sehr Kurzgeschichten-orientiert. Und der einzige Grund, aus dem ich überhaupt an diesem Schreibwettbewerb teilnehmen wollte, war, dass die Textform sehr frei war und ich eben keine Kurzgeschichte schreiben musste. So, also schreibe ich einen Essay. Essay geschrieben. Essay eingereicht. Essays und ich, wir verstehen uns.

Und in der Minute, in der die E-Mail mit meinem Teilnahmestück aus dem Postausgang hinaus in die Weiten des Internets geflattert war, dachte ich mir eigentlich schon, wie wenig ich das alles mag. Liebe zum Essay hin, Liebe zum Essay her. Man kann es drehen und wenden wie man will. Ich mag das Konzept ’Schreibwettbewerb’ einfach nicht. Und das obwohl ich ein furchtbar wettbewerbsfreudiger Mensch bin. (Letztes Jahr habe ich den ersten Platz bei einem Kahoot-Duell über Arbeits- und Organisationspsychologie mit einem kompletten Vorlesungssaal von Psychologiestudenten belegt und konnte mich gerade noch zurückhalten, im Flickflack durch den Vorlesungssaal zu turnen und irgendetwas ganz obszön-narzistisches zu brüllen. Ich bin wirklich sehr kompetitiv. Nicht unbedingt eine meiner besten Eigenschaften.)

Schreibwettbewerbe sind aber etwas Anderes. Schreiben war nie ein Wettbewerb für mich. Ich schreibe nicht, um andere zu beeindrucken oder die beste und größte Textverfasserin der Schule oder der Universität oder Deutschlands oder Europas zu sein. Ich schreibe, weil ich wirklich gern Geschichten erzähle. Ich schreibe, weil ich es liebe. Und ich liebe es, die Geschichten anderer zu lesen. Beim Schreiben geht es nicht darum, besser als jemand anderes zu sein – sondern darum etwas zu erzählen, was Bedeutung hat, was unterhält, bewegt, was amüsiert.

Ich will den Wert meiner Worte nicht an der Anzahl an Wettbewerben, die ich mit ihnen gewonnen habe, messen. Ich will den Wert meiner Worte überhaupt nicht messen. Das ist ein blödes Konzept. Jeder hat eine Geschichte zu erzählen und es ist mir lieber, meine Begeisterung darüber zu teilen, anstatt über dieser Tatsache im Konkurrenzdenken zu versinken. Das macht keinen Spaß – und es bringt auch kein gutes Werk hervor. Natürlich ist es toll, wenn jemand eine tolle Geschichte schreibt und dabei ein breites Publikum erreicht, aber macht das die eigene Geschichte weniger gut? Heißt es, wenn jemand anderes spricht, wir automatisch verstummen? So funktionieren doch Erzählungen nicht. Wettbewerbe setzen einem die Illusion vor, dass der Erfolg eines anderen der eigene Misserfolg ist. Dabei könnte alles, wofür Schreiben steht, nicht weiter von dieser Auffassung entfernt sein. Geschichten geben einem so viel mit, doch wenn man in ihnen den Gewinn eines Wettbewerbs sucht, kommt man mit leeren Händen zurück.

Manchmal fühle ich mich regelrecht dazu gedrängt an Schreibwettbewerben teilzunehmen. Dann wird mir unter die Nase gerieben, wie viele Schreibwettbewerbe Person X oder Person Y gewonnen hat, während ich, ach ja, die letzten paar Jahre keinen Schreibwettbewerb gewonnen habe. Das könnte natürlich daran liegen, dass ich an keinem Wettbewerb teilgenommen habe, aber gut, das mal beiseite. Es ist ächzend. Ich habe in den letzten Jahren meinen Blog neu aufgestellt, begonnen bei der Studentenzeitung zu arbeiten, für meine Universität gebloggt und eine solide Anzahl an Seiten für einen Roman verfasst. Ich habe Gedichte geschrieben und leite momentan meine erste redaktionelle Bearbeitung des Gedichtbandes einer anderen Person. Und trotz dessen werde ich tatsächlich manchmal gefragt, ob ich überhaupt noch schreibe. Ausschließlich, weil mein Lebenslauf nicht mit Preisen gefüllt ist.

Ich ziehe es vor an größeren Projekten zu arbeiten, die mich fordern und fördern, oder zumindest an kleinen, die mir Freude bereiten und die sich richtig anfühlen. Schreibwettbewerbe fühlen sich für mich oft nicht richtig an. Und ich hasse es, wenn man meine Schreibaktivität allein auf die Anzahl der Wettbewerbe reduziert, die ich gewonnen habe. Nicht, dass Aktivität generell das Wichtigste wäre. Qualität über Quantität. Man kann fünfzig Geschichten schreiben und überhaupt nichts damit ausdrücken – und eine, die alles sagt. Aber selbst aus einer quantitativen Perspektive Schreibwettbewerben das Nonplusultra der Schreibaktivitätsmessung zuzusprechen, ist naiv und auch ziemlich bescheuert. Das ist jedenfalls meine bescheidene Meinung.

Ich weiß nicht, ob ich in der Zukunft an weiteren Schreibwettbewerben teilnehme. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Doch wenn ich es tue, dann weil ich mit einer Kurzgeschichte oder einem Essay etwas erzählen will und weil ich etwas zu erzählen habe — und nicht weil alles andere das eigene Versagen impliziert. Ich schreibe nicht für Quantität, sondern für Qualität. Ich schreibe nicht für Preise oder Prestige, für Geld, Erfolg oder Anerkennung. Ich schreibe nicht um mich mit anderen zu messen. Ich schreibe, weil es der Mittelpunkt meines Daseins ist und Geschichten alles, was ich an dieser Welt liebe. Ich schreibe nicht für das gottverdammte Wettbewerbskomitee, ich schreibe für mich selbst — und ich schreibe für alle, die in dem, was ich schreibe Wahrheit und Trost oder einfach nur Amüsement finden.