Zuhause?

Es ist ja fast schon eine historische Frage, was denn Zuhause eigentlich bedeutet. Ob es nun ein Ort, ein Gefühl, eine Erinnerung oder ein soziales Umfeld ist. Ob man ein einziges hat oder mehrere. Ob man es sich aussucht, oder — wohl oder übel — in das ein oder andere hineingeboren wird und alles, was danach kommt, niemals gänzlich ein Zuhause im ursprünglichen Sinne sein kann. Manch einer sucht Zuhause wohl ein Leben lang und andere versuchen ihm zu entfliehen, sobald sie laufen können. Und was es nun ist — sein Zuhause zu verlieren, reißt meist eine tiefe Leere in den Menschen, währenddem Wiederfinden sicher schon das ein oder andere gebrochene Herz geheilt hat.

So ganz weiß ich eigentlich nicht, wie ich Zuhause so wirklich definieren soll — vielleicht, weil es keine allumfassende Definition für etwas so persönliches gibt. Und vielleicht, weil ich so jung bin, dass sich mir ganze Teile dessen, was Zuhause für viele ausmacht (Kinder, Katzen, Haus, Hof und Hund), noch entschließen. Was es auch ist, ich mache mir durchaus den ein oder anderen Gedanken über das Konzept Zuhause.

Ich habe die ersten achtzehn Jahre meines Lebens in einem winzigen Dorf in der Thüringer Provinz verbracht. Das war mein Zuhause, ohne wenn und aber. Bis dahin habe ich daran so wirklich nie gezweifelt. Kompliziert wurde es nur, als ich meine Sachen packte und in die Niederlande zog. Denn jetzt, zweieinhalb Jahre nach Umzug ins Nachbarland, ist Nijmegen genauso Zuhause für mich, wie mein geliebtes Heimat-Kaff. Und, darüber hinaus, fühle ich mich (beziehungsbedingt) auch in Rom zunehmender Zuhause, desto öfter ich dort bin.

Ich habe mein Leben lang davon geträumt, zu reisen und mich stetig zu entwurzeln, neu zu erfinden, die Welt zu erkunden, Menschen zu treffen, Sprachen zu lernen und zumindest für eine Weile nirgendwo so wirklich zur Ruhe zu kommen. So ist das, wenn man achtzehn ist und raus will, in die weite Welt. Nun bin ich aber keine achtzehn mehr. Und während ich darauf eingestellt war, bis mindestens dreißig ein Leben zu leben, bei dem die Welt mein Wohnzimmer ist, war ich nicht darauf eingestellt, wie kompliziert es doch sein kann, drei oder vier oder fünf Wohnzimmer über Europa verteilt zu haben und in ständigem Heimweh hin und her zu springen.

Weltenbummler-Dasein mag sich ja wirklich romantisch anhören, aber ein gewisser Grad an Entwurzelung ist doch auch manchmal sehr einsam. Man muss sich damit abfinden, dass man nie gleichzeitig überall sein kann, mit all den Menschen, die Zuhause Zuhause sein lassen und dass man, egal, was man hat und wo man gerade ist, nie gänzlich Zuhause ist, wenn es sich nicht auf einen einzelnen Punkt konzentriert. Doch wie Zuhause auf einen einzelnen Punkt konzentrieren? Und, wenn man wiederum darüber nachdenkt, sicher sein, dass das überhaupt die richtige Herangehensweise ist? Was ist besser? Einen Teil Zuhause aufgeben, um Heimweh zu entfliehen, oder überall Zuhause, aber in ständigem Heimweh zu sein?

Man könnte es eine Melancholie des beginnenden Dezembers nennen, mit diesen grauen, kalten Tagen, die zumindest mich momentan so permanent überdenken lassen. Kein Wunder, dass Menschen gerade um die Weihnachtszeit so depressiv werden, diese metaphysischen Gedankengänge hält ja nun wirklich niemand aus. Man kann aber der Frage nach Heimat, in Anbetracht der geballten Weihnachtsstimmung mit zentralem Element Zuhause wirklich nicht entfliehen.

Und vielleicht, wenn es mich jetzt demnächst nicht vollkommen in den Wahnsinn treibt, dann ist das auch besser so. Denn was ist Überdenken, wenn nicht die sehr enthusiastisch vorangetriebene Suche nach einer Lösung? Und, in diesem Sinne, was ist Heimweh, wenn nicht die Suche nach einem Zuhause? Und was ist die Suche nach einem Zuhause, wenn nicht ein notwendiger Bestandteil des Erwachsen-Werdens?