Die Montagsfrage #40 – Wie geht Representation (nicht)? [Pride Month Edition]

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Zu später Stunde melde ich mich diesen Montag mit der heutigen Montagsfrage zurück. Mit Betonung auf spät, ja, ich weiß. Wie bereits erwähnt, stecke ich momentan in der Examensphase des Grauens und ich muss zugeben, dass ich schlichtweg nachdem ich Mittags nach dem Examen wieder Zuhause war mit kurzer Unterbrechung (Termin) bis eben geschlafen habe (war nötig). Das ist im Prinzip ein Sneak-Peak, auf das, was ich nach dem Umzug und während meinem Urlaub machen werde. Nickerchen. Nur halt in Griechenland. (Und nicht mehr Abends um 10 beginnen die Montagsfrage zu verfassen, obwohl sie bereits vor 22 Stunden hätte online gehen sollen. Das auch.)

Doch Nickerchen hin, Nickerchen her. Es ist Montag und nicht nur das. Es ist ein Montag Mitte Juni — und jeder, der sich zumindest vage auf Facebook, Twitter oder Instagram herumtreibt weiß, Juni ist Pride Month. Falls ihr also in letzter Zeit vermehrt die Regenbogenfahne herumflattern gesehen und euch gewundert habt, wieso das so ist: Jetzt wisst ihr es.

Nun ist allerdings nicht erst seit gestern Juni, sondern bereits seit über zwei Wochen. Und das heißt, dass bereits zwei Montagsfragen veröffentlicht wurden, die sich nicht mit LGBTQ+ Themen auseinandergesetzt haben. Nun, weshalb ist das so? In erster Linie, wenn ich ganz ehrlich sein soll, weil Zeit für mich momentan ein vages Konzept ist und wenn mir jemand mit genügend Selbstvertrauen erzählen würde, wir hätten Anfang Mai, würde ich es wahrscheinlich glauben. Bei mir ging es zwischen Mai und Juni so drauf und drunter, dass ich den Großteil des Beginns Juni ziemlich verschlafen habe. Mir ist also (Asche auf mein Haupt) erst im Laufe der letzten Woche so wirklich bewusst geworden, dass überhaupt Pride Month ist. (Zu meiner Verteidigung: Wenn bei mir in der Timeline Regenbogenfahnen auftauchen, dann ist das keine sonderliche Veränderung zum Rest des Jahres, weil ich vielen Social Media Persönlichkeiten und Seiten folge, die LGBTQ+ Themen generell zum Thema haben.)

Im Laufe der letzten Woche habe ich also auf den Schirm bekommen, dass wir mitten im Pride Month stecken und trotz dessen war ich, zumal ich den „Anfang“ ja eigentlich schon verschlafen hatte, nicht einhundertprozentig sicher, ob ich die heutige Montagsfrage Pride-related machen soll. Vor allem, weil jeder semi-Hipster-Shop, der das ganze Jahr über keinen Gedanken an LGBTQ+ Themen verschwendet, jetzt eine Regenbogenfahne im Label hat und ich diese „Die Sache um der Sache willen machen“-Einstellung nicht so toll finde. Das Thema liegt mir ganzjährig am Herzen und ich will nicht bei seiner Kommerzialisierung mithelfen. Wieso also per se im Juni eine Frage posten, die sich mit diesem Thema auseinandersetzt? Wieso nicht an einem anderen Punkt des Jahres, zumal es zwölf Monate im Jahr relevant ist und nicht — wie Weihnachts-, Oster- oder Neujahr-orientierte Fragen wirklich zeitabhängig ist?

Wie sind wir also nun dazu gekommen, dass es heute eine Montagsfrage gibt, die sich eben doch mit diesem Thema auseinandersetzt. Die Antwort ist simpel und hat nur indirekt etwas mit dem Juni zutun. Vor vier Tagen hat der britische YouTube Daniel Howell ein Video mit dem Thema „Basically I’m Gay“ veröffentlicht, das seitdem viral gegangen ist. Ich folge besagtem YouTuber nicht erst seit kurzer Zeit, sondern bereits seit circa 2015/16. Bin ich also ein Hardcore-Fan, der schon seit den Urzeiten seines YouTube-Kanals dabei ist? Definitiv nicht. Aber bin ich ein Fan, der die Videos dieses YouTubers wahnsinnig gern anschaut und versteht, welche Reichweite dieser YouTuber hat und was es heißt, wenn er sich outed? Absolut. Kurzum: Ich war tief berührt von diesem Video. Es ist wahnsinnig gut gefilmt, geschnitten und ausformuliert. Fan oder nicht — jeder, der der englischen Sprache mächtig ist, sollte es sich zu Gemüte führen. Es sind definitiv 45 Minuten und 28 Sekunden, die gut investiert sind.

Dan Howells Video hat mich also dazu inspiriert, das Thema nun doch aufzugreifen. Gerade weil ich finde, dass er Repräsentation diesen Monat definitiv auf den Punkt gebracht hat wie kein anderer — ganz unabhängig davon, ob gerade Pride Month ist oder nicht. Repräsentation wäre in jedem anderen Monat genauso wichtig und toll gewesen und weil gerade das Thema innerhalb der letzten Jahre zu einem wiederkehrenden Thema in der Literaturbranche geworden ist und ich, inspiriert von diesem Video, momentan nur so die Laptoptasten klappern lasse, wieso eigentlich nicht? Und deshalb geht es bei der heutigen Montagsfrage um folgendes:

Wie geht Repräsentation (nicht)? (Pride Month Edition)

Spätestens seit J.K. Rowling 2007 Dumbledore in einem Interview geoutet hat, hat die Frage, wie Repräsentation eigentlich richtig geht, die mainstream Popkultur erreicht. Ist einen Charakter in einem Interview als schwul outen die Repräsentation, die wir in Büchern wirklich wollen? Fans haben sich, im Laufe der letzten zwölf Jahre, mehr oder weniger darauf geeinigt, dass die Antwort darauf nein ist. Nun, man kann sich streiten, ob Dumbledores Sexualität in irgendeiner Form von Belang war. Bezüglich seiner Beziehung zu Grindelwald, die im letzten Harry Potter-Teil ja durchaus thematisiert wird, war sie das meiner Meinung nach, aber eventuell nicht in einem Sinne, dass es explizit hätte erwähnt werden müssen. Es hätte die Bahnhof-Szene am Ende von Heiligtümer des Todes durchaus klarer gemacht, zumal Dumbledores ganzes Ding ja „Die Kraft der Liebe“ war und seine Liebe mehr oder weniger dabei geholfen hatte, Europa der 1940er Jahre in Angst und Schrecken zu versetzen, aber gut. Ich schweife ab.

Wäre es eine starke Botschaft gewesen, offiziell in den Büchern, ganz am Ende, schwarz auf weiß Dumbledores Sexualität zu behandeln? 2007 auf jeden Fall. Gerade weil Harry Potter fast unerreicht in seinem kulturellen Einfluss steht. Gerade weil es nicht der Kern des Charakters gewesen wäre, aber Entscheidungen besser erklärt hätte, die dieser Charakter getroffen hat. Und weil es Länder, Systeme und Personen, die chronisch homophob sind, absolut kirre gemacht hätte. Ich bin der festen Überzeugung, dass der letzte Harry Potter Teil in bestimmten Ländern nicht veröffentlicht worden wäre, wäre Dumbledore in den Büchern als homosexuell geouted wurden. Das wäre 2007 ein absoluter Schlag ins Gesicht für Homophobie gewesen. Ihr findet Homosexualität abstoßend? Nun, dann erfahrt ihr halt nicht wie Harry Potter ausgeht. (Seriously, can you imagine?)

Ich sehe, dass sich einige von euch fragen, wie ich darauf komme, dass das Buch in manchen Ländern zensiert oder nicht veröffentlicht wurden wäre. Letztendlich kann man ja nur darüber spekulieren, weil das Thema an sich in den Büchern eben nie direkt behandelt wurde. Ich vermute das, weil eine ähnliche Sache mit Rick Riordans Spin-Off-Serie zu Percy Jackson passiert ist. In „Das Haus des Hades“ wird ein Charakter im Buch geoutet, was zur Folge hatte, dass das Buch in bestimmten Ländern nicht veröffentlicht wurde, weil Riordan sich dagegen ausgesprochen hat, die Sexualität des Charakters zu ändern. Nun ist weder Percy Jackson noch Helden des Olymp in seiner Reichweite mit Harry Potter nicht gleichzusetzen (kaum eine Buchreihe könnte da, bzw. kann da nur im Ansatz drankommen). Aber die Buchreihe hat ebenfalls mit Charakteren gestartet, die alle weiß und heterosexuell waren, und sich im Laufe ihrer Geschichte auf natürliche und logische Weiße Inklusion betrieben hat. Helden des Olymp wäre wahrscheinlich auch mit viel Begeisterung gelesen wurden, wären die Charaktere alle weiß und hetero gewesen. Aber es hat in diese Buchreihe nicht nur 1. viel natürlicher gemacht, dass das eben nicht der Fall war, sondern 2. eine Botschaft gesendet. Die da wäre: Die Verschiedenheit von Sexualität, Hautfarbe, Geschlechtsidentität und ökonomisch-sozialer Hintergrund sind nicht die einzige Eigenschaft eines Charakters, aber Verschiedenheit ist eine Eigenschaft jeder Gesellschaft und innerhalb der sind alle, egal woher sie kommen, wie sie aussehen, wen sie lieben etc. pp., Individuen und keine Stereotypen. Und das ist, kurz gesagt, was ich an Rick Riordans Charakteren so toll finde.

Vor allem sexuelle Repräsentation dreht sich nicht darum einen schwulen oder lesbischen oder bi-, a- oder pansexuellen Charakter zu haben. Es geht hier nicht darum, wie viele Trans-Leute in einem Buch vorkommen. Es geht darum zu erkennen, dass eine Gesellschaft nicht ausschließlich aus heterosexuellen Menschen besteht, dass Sexualität ein wichtiges, aber nicht das wichtigste, Thema in freundschaftlichen, romantischen oder familiären Beziehungen ist. Und dass jeder Mensch, unabhängig von seiner Sexualität oder Geschlechtsidentität, kein Stereotyp ist. Wenn die einzige Eigenschaft eines Charakters in einem Buch „schwul“ ist, dann ist das keine gute Repräsentation. Ich möchte bitte komplexe und vielschichtige Charaktere, die mehr sind als ihre Sexualität oder ihre Hautfarbe. Das heißt nicht, den schwulen Stereotyp oder den schwulen Anti-Stereotyp zu schreiben, sondern einfach, verdammt noch mal, einen gut geschriebenen Charakter zu entwickeln, mit eigenen Motivationen und Problemen, Hintergründen und Eigenschaften, der zudem, soweit es für diesen Charakter Sinn macht, es sich also einfach „natürlich“ anfühlt, homosexuell (oder bisexuell, pansexuell, asexuell etc. pp.) ist.

Ich weiß, dass ich bereits in einer früheren Montagsfrage etwas zum „natürlich“ anfühlen der Sexualität eines Charakters geschrieben habe, und ich würde wirklich gern irgendwann einen ausführlicheren Beitrag dazu schreiben, aber ganz kurz erklärt, was ich damit meine: Ich schreibe momentan eine Geschichte, in der der Hauptcharakter homosexuell ist. Das war allerdings nicht immer so. Tatsächlich schreibe ich schon eine Weile an dieser Geschichte und hatte über viele Jahre hinweg massive Probleme dabei die romantische Beziehung dieses Charakters zu schreiben. Sagen wir einfach mal, die Funken zwischen meinem Hauptcharakter und seiner zukünftigen Freundin sind nicht geflogen. Es fühlte sich unnatürlich und immer absolut gezwungen an. Bis ich eines schönen Abends, grübeln über diese Sache im Bett gelesen habe und mir plötzlich bewusste wurde: „Warte Mal. Er ist schwul.“ und siehe da — plötzlich fühlt es sich beim Schreiben anders an. Richtig.

Die Sexualität meines Charakters ist weder seine einzige noch seine wichtigste Eigenschaft. In der Geschichte geht es nicht hauptsächlich um sein sexuelles Erwachen oder sein Coming Out. Wenn überhaupt ist das alles eine Randnotiz. Ich habe meinen Hauptcharakter nicht schwul gemacht, weil ich mir dachte „Mensch, ich hätte gern einen schwulen Hauptcharakter“, sondern weil ich viele Jahre damit verbracht habe diesen Charakter zu entwickeln, bis zu dem Punkt, an dem sich eine homosexuelle Beziehung für ihn richtig angefühlt hat. Er ist kein Stereotyp. Es fühlt sich einfach richtig an. Und ich hoffe, dass ich eines Tages dieses Buch veröffentlichen kann und Leute es lesen und eine Vielzahl von sexuellen Identitäten, ethnischen Hintergründen und komplexen Motivationen sehen, die diese Geschichte natürlich und repräsentativ für unsere Gesellschaft macht. Denn das ist, kurzum, was ich unter guter Repräsentation verstehe.

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Noch nicht genug von der Montagsfrage? Hier geht es zur Montagsfrage der letzten Woche und hier zur Liste aller auf diesem Blog erschienenen Montagsfragen.

  1. Literaturblog von Nomadenseele
  2. wortmagieblog
  3. Aequitas et Veritas
  4. Der Büchernarr
  5. Andreas Kück Leselust
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