Niederländisch für Anfänger #7 — Wenn man noch mal anfangen könnte

Vor einigen Monaten habe ich Instagram von meinem Handy getilgt. Ich habe es seither nur selten vermisst. Ein paar Mal habe ich noch reingeschaut, vor allem um nach Nachrichten zu sehen, und darüber festgestellt, dass mich die App, wenn ich sie nicht benutze, überhaupt nicht vermisst. Es ist irrelevant ob ich Bilder poste und Texte schreibe oder nicht. Social Media dreht sich, ganz genau wie das echte Leben, einfach weiter und keinem fällt auf, dass man selbst auf kurz oder lang nicht da war.

Damals, Ende Oktober, ist die App vor allem von meinem Handy geflogen, weil ich mich besser auf meine Examen konzentrieren wollte. Oder zumindest weil es wohl die obligatorisch-logische Entscheidung zu sein scheint, wenn man sich besser auf seine Examen, die Arbeit, ein Buchprojekt, die Familie, die Freunde — auf irgendetwas und alles — konzentrieren möchte.

Und siehe da, Instagram war weg und zu Beginn hat es doch auch tatsächlich geklappt. Ich habe Kapitel zusammengefasst und Vorlesungen geschaut, mich Tag um Tag durch die Materialen gequält, irgendwo im Blick, dass dies nun einmal dazu gehört, wenn man irgendwann einmal seinen Bachelor in Psychologie in der Hand halten will. Wenn man irgendwann einmal die Bewerbung für den Master verschicken möchte und dann später die für den Doktortitel. Wenn man die To Do-Listen-Punkte des geplanten Lebensweges abhaken will, um irgendwann anzukommen. Das notwendige Übel wenn man irgendwann aufhören will auf Familienfeiern eine Rechtfertigung dafür zu finden, wieso man nach drei Jahren noch nicht fertig ist, ohne wirklich zu sagen, wieso man nach drei Jahren noch nicht fertig ist, weil es schwierig zu erklären ist, was so alles in drei Jahren schief gehen kann. Ach ja, das Irgendwann.

Ende Oktober saß ich also da, für einige Wochen mit deutlich niedrigerem Social Media Konsum und für ein langes Cat-Sitting-Wochenende bei meinen Eltern die Woche vor meiner ersten Klausur allein mit meiner Brain & Cognition Zusammenfassung und den eigenen leidlichen Gedanken. Das Wochenende ging, es fiel mir immer schwerer mich zu konzentrieren und zu motivieren, die leidlichen Gedanken wurden unleidlich, bis ich dann einen Nachmittag mit dem Wagen meiner Eltern von einem Friseurbesuch nach Hause fuhr und dachte: ’Entweder geht dieses Studium — oder ich.’

Wir müssen an einer anderen Stelle mal darüber sprechen, dass ich genau die Art von dramatische Person bin, die wenn sie allein im Halbdunkeln Landstraßen entlangfährt, in abgewandelter Form die angeblich letzten (oder zumindest fast letzten) Worte von Oscar Wilde zitiert („Entweder geht diese scheußliche Tapete — oder ich.”). Was aber im Prinzip eigentlich wichtig ist, ist letztendlich nur, dass ich Januar 2020 immer noch da bin. In gesundheitlich akzeptabler Verfassung und mit dem selben Haarschnitt. Da es allerdings tatsächlich vorkommt, dass ich eine Frau meines Wortes bin, ist das Studium gegangen. Aber alles auf Anfang.

Wer mir auf Instagram (von allen Plattformen, mein Gott, die Ironie) folgt und dort mit Regelmäßigkeit meine ellenlangen Beiträge inspiziert/stalked, weiß bereits, dass ich mein Studium pausiert habe. Einzig und allein aus dem Grund, dass es zu viele Gründe gibt, die das eigene Leben zu kurz für Tätigkeiten machen, die keine Erfüllung bringen. (Was für ein verwirrender Satz. Aber hey, was für ein verwirrender Entscheidungsvorgang und was für ein verwirrender Lebensabschnitt, am I right?) Ganz davon abgesehen bin ich nach mehr als drei Jahren der ’Es erfüllt mich nicht’-Tätigkeiten und persönlichen Tiefschläge (2019 allein, don’t get me started) zu müde, um so weiterzumachen wie bisher. Nicht einmal ein guter dritter Teil von Fantastic Beasts — und sind wir mal ganz ehrlich, wir haben alle den zweiten gesehen — könnte mir genug Glauben an die Zukunft geben, um mein künftiges Berufsleben auf mein Psychologie-Studium zu bauen. Es passt einfach nicht. Es hat lang gedauert, bis ich das so wirklich schreiben konnte, aber es passt einfach nicht.

Ich habe keine Ahnung, was nun genau in Zukunft passen soll. Aber das ist wohl eine der Privilegien, die man hat, wenn man erst 21 ist. Es wäre schön, das ganze Leben listenartig ausgelegt zu haben und damit seinen Frieden schließen zu können — sicher. Aber wenn man noch mal so richtig verloren gehen darf, kann und soll, dann doch bitte mit Anfang 20.

Ich würde gern eines Tages ein Leben führen, von dem ich keinen Urlaub nehmen muss. Und momentan brauche ich noch eine ganze Menge Urlaub vom Leben der letzten Jahre. Das ist also semi, was ich mache. Semi, weil ich für den Lebensunterhalt meiner charmanten Person in Teilzeit arbeite (und das ja nun gerade nicht die Definition von Urlaub ist). Und doch ein bisschen Urlaub, weil ich das erste Mal seit sehr langer Zeit wieder regelmäßig mache, was mir wirklich Freude bereitet: Schreiben. Urlaub im Kopf, in diesem Sinne. In Cafés sitzen, Heißgetränke schlürfen, und in den Notizblock kritzeln. Katzen kuscheln und dann ein paar Absätze tippen. Auf Arbeit gehen und schreiben. Von der Arbeit nach Hause kommen und noch mehr schreiben. Nicht immer in befriedigend, nicht immer so wie ich es mir vorstelle und bestimmt nicht jede Woche flüssig. Aber ich schreibe und es tut so richtig gut.

Und vielleicht, wenn man sich eine Weile von den Dingen getrennt hat, die einem nicht gut getan haben, und vielleicht, wenn man dann die Dinge tut, die einem gut tun, kommt man irgendwann von ganz allein dort an, wo man hin muss. Die letztendliche Beurteilung darüber, für was die Traumata der letzten Jahre so gut waren, steht noch aus. Aber man darf ja zumindest ein bisschen hoffen, dass sie überhaupt für irgendwas gut waren. Und letztendlich vielleicht sogar für die Art von neuem Lebensabschnitt, der einen nicht Abends mit Kopfschmerzen einschlafen lässt und Morgens kaum aus dem Bett bewegen kann. Wäre doch wünschenswert. So für jeden da draußen. Und, mal ganz egoistisch betrachtet, wünsch ich es mir dieses Jahr auch ziemlich für mich selbst.