Ein paar Gedanken zur (abgesagten) Leipziger Buchmesse

Die Nachricht kam gegen Mittag durch Instagram-Stories befreundeter Buchblogger zu mir durchgesickert. Die Leipziger Buchmesse 2020: abgesagt. Eigentlich vorhersehbar, trotzdem sehr schade. Seitdem kugeln nun die Privatnachrichten meiner Freunde aus Leipzig ins Postfach. Ich komme aus Thüringen, deshalb studieren viele meiner alten Schulfreunde in der Messestadt. Eigentlich war ausgemacht, dass wir uns nun nächste Woche treffen, wenn ich mich schon mal nach Leipzig verirre. ’Kommst du nun? Oder fährst du nur bis Eisenach und verbringst ein Wochenende bei deinen Eltern? Kannst du die Ticketpreise noch erstattet bekommen? Bleibst du in Nijmegen?’ — Gute Frage. Nächste Frage.

Meine Zugtickets könnte ich noch stornieren und einen Großteil des Preises erstattet bekommen. Aber was machen mit dieser Information? In den Niederlanden bleiben und Teil des Geldes zurückbekommen? Die Eltern besuchen, wo der Zug schon durch den Heimatort durchgeht? Bis nach Leipzig fahren und einen kurzen Städtetrip machen? Freunde wieder sehen und wie geplant ein Wochenende bei meiner Cousine verbringen? Oder doch lieber mit dem Rest der Familie im Heimatort? Oder mit Freund, Katzen und Manuskript Zuhause? Ja. Gute Frage.

Es ist natürlich für mich — wie für viele von euch in der Buchblogger-Sphäre, wo zwei Mal im Jahr für gewöhnlich zu den Messen gepilgert wird — eine herbe Enttäuschung.  Ich hatte die letzten Jahre über grundsätzlich immer etwas anderes auf der Agenda, wenn die Buchmessen anstanden. Diese war jetzt die erste, bei der es mal wieder geklappt hätte. Glaubt mir, dass es jetzt nicht klappt, ist auch für mich wirklich blöd. Verlorener Planungs-Zeit über die letzten Wochen und Geld inbegriffen. (40€ sind immer noch 40€ — Danke, Storno-Regeln der Deutschen Bahn.)

Vernünftige Entscheidung

Es ist allerdings, so sehr es mich schmerzt das zu sagen, auch eine vernünftige Entscheidung. Versteht mich nicht falsch, ich bin die letzte Person, die aufgrund des Corona-Viruses Panik anfeuert. Ich habe sogar in meiner meiner letzten englischsprachigen Kolumne für das Studentenmagazin, bei dem ich beschäftigt bin, genau diese Panikmache kritisiert (’No time to panic’). Aber — großes aber — es gibt einen Unterschied zwischen Panikmache und der Entscheidung vorsichtig zu sein.

Was die Veranstalter der Leipziger Buchmesse heute entschieden haben, war eine logische Schlussfolgerung. Gerade durch Messen, auf denen viele Menschen aus allen möglichen Ländern und auf engem Raum zusammentreffen, kann sich eine Virus-Situation wie diese in Europa rapide verschärfen. Leute, die sich potenziell in Leipzig hätten anstecken können, wären nach diesem Wochenende wieder in alle möglichen Gebiete innerhalb und außerhalb Deutschlands zurückgekehrt und hätten den Virus folglich unkontrolliert verbreitet. Man braucht nicht sonderlich viel biologisches Fachverständnis, um da die Logik hinter der Entscheidung, die Messe abzusagen, zu erkennen.

Keine Macht der Virus-Panik

Das heißt nicht, dass man statt auf die Leipziger Buchmesse zu gehen, jetzt das Wochenende im DM auf der Jagd nach den letzten Fläschchen Desinfektionsmittel verbringen muss. Oder sollte. Ganz ehrlich, wie viel Desinfektionsmittel denkt der Otto Normalverbraucher braucht es so übers Jahr verteilt, dass in Deutschland Regale leer geräumt werden? Hm? Sicher, Vorsicht aufgrund des Viruses sollte durchaus geboten sein. Aber Panik? Bitte. Kein Mensch braucht Panik.

Man sollte in Antlitz jeder Virus-Saison darauf achten, regelmäßig Hände zu waschen, nicht alle möglichen Leute zu umarmen und das Immunsystem besonders zu stärken (Stichwort: Sport, ausgewogene Ernährung, wettergerechte Kleidung, genug Schlaf). Aber das sind auch die grundsätzlichen Tipps, die auf jede Grippe zutreffen. (Abgesehen davon, dass es für die Grippe zusätzlich Impfungen gibt, die — seien wir mal ehrlich — viele Leute gar nicht wahrnehmen.) Es ist immer wichtig, dass man auf sich aufpasst. Ich weiß, wovon ich rede, ich hatte nämlich die letzten Jahre eine wirklich schlechte Immunabwehr. Aber ’auf sich aufpassen’ mit ’vollkommen den Verstand verlieren’ zu verwechseln, ist einfach nur irrational und hilft keinem.

Ich habe es satt von Leuten zu lesen, die entweder denken, dass dieser Virus mindestens neunzig Prozent der Weltbevölkerung dem Erdboden gleich macht — oder von Leuten, die ihn nicht ernst nehmen und jetzt überhaupt nicht verstehen können, warum Großveranstaltungen wie die LBM abgesagt werden. Niemand will, dass sich der Virus unkontrolliert weiter ausbreitet, weil er vor allem für die Risiko-Gruppen (Menschen mit Vorerkrankungen und alte Menschen) sehr gefährlich sein kann. Deshalb wurde die LBM abgesagt. Weil es eine gesunde Sicherheitsentscheidung ist. So sehr sie auch stinkt. Aber dass Veranstaltungen wie diese abgesagt werden oder dass Menschen diese potenzielle Pandemie sehr ernst nehmen, heißt nicht, dass jetzt jeder das Recht darauf hat, sich wie die rücksichtslosen Charaktere in dystopischen Romanen zu verhalten.

Meine Twitter-, Instagram-, und Facebook-Timeline ist voll von Berichten rassistischem Verhaltens gegenüber Menschen, die von anderen für Chinesen oder Italiener gehalten werden. Und das ist einfach das Allerletzte. Ganz davon abgesehen, dass es in manchen Teilen der Welt (inklusive Teilen Deutschlands) unmöglich ist, Desinfektionsmittel oder Schutzmasken zu bekommen, was es Menschen, die diese Dinge wirklich brauchen, schwer macht. Stichwort: Krebskranke. Und Krebskranken das Leben schwer zu machen ist einfach falsch.

Seid vorsichtig, aber hört auf mit der Panik. Schimpft nicht auf die armen Veranstaltern der Leipziger Buchmesse, die (da bin ich mir ziemlich sicher) eine richtig miese Woche vor sich haben. Schimpft aber auch nicht auf die Leuten, die gerade (ich eingeschlossen) mit einem grippalen Effekt Zuhause sind und vielleicht mal in der Öffentlichkeit ihre Nase putzen müssen. Oder auf Leute, die ihr für Italiener oder Chinesen haltet. Oder von denen ihr wisst, dass sie Italiener oder Chinesen sind. Sonst komme ich persönlich vorbei und schnief einmal auf euch drauf, mit meinem Otto-Normal-Aber-Das-Wisst-Ihr-Ja-Nicht-Grippalen-Effekt.

Der Corona-Virus hat eine Mortalität-Rate von etwas über 2% — das ist zwar gefährlicher als die Grippe, die im Vergleich eine Mortalität-Rate von 0,1 bis 0,2% hat (Quelle), aber die Wahrscheinlichkeit, dass jemand an dem Corona-Virus erkrankt und stirbt ist trotz allem noch sehr gering. Man kann (und sollte) vorsichtig mit diesem Virus sein — ich denke, das haben wir alle verstanden —, eventuell doch noch mal über eine Grippe-Impfung nachdenken, damit man einer Doppelerkrankung aus dem Weg geht und vor allem oben bereits erwähnte Basic-Hygiene-Regeln befolgen. Aber diese ganze Panik macht nur Stress und Stress schwächt das Immunsystem, was also nicht nur für die Allgemeinheit kontraproduktiv ist, sondern auch für euch selbst.

Und nun?

Ich habe seit diese Virus-Panik ausgebrochen ist, sehr viel über sie nachgedacht. Und darüber die Einsicht erlangt, dass ein gesundes Mittelmaß zwischen Panik und Gleichgültigkeit wohl die beste Lösung ist. Weshalb ich die Entscheidung, die LBM abzusagen, verstehen kann — ohne mir, wie man bei mir Zuhause so schön sagt, deshalb jetzt ins Hemd zu machen. Seit ich heute Nachmittag begonnen habe, diesen Beitrag zu schreiben, habe ich nun auch viel darüber nachgedacht, ob ich Zuhause bleiben oder nach Leipzig fahren soll. Wie sehr kann mir ein Virus, vor dem ich Respekt, aber keine Angst habe, mein Messewochenende versauen? Ziemlich, wie sich ja mit der LBM herausgestellt hat.

Kann mir dieser Virus allerdings mein Wochenende (ohne Messe) versauen? Nein, nicht wirklich. Ich habe mit meinem Freund darüber gesprochen und er hat es besser formuliert als ich es selbst ausdrücken kann: ’Im Prinzip hast du eine win-win-win-Situation. Entweder bleibst du hier und hast ein entspanntes Wochenende und bekommst einen Teil des Geldes zurück. Oder du siehst Freunde, die du schon ewig nicht mehr gesehen hast, in Leipzig wieder. Oder du verbringst spontan Zeit mit deiner Familie.’ — Die Messe findet nicht statt und das ist traurig und ärgerlich, vor allem für diejenigen, die Hotels und Nicht-Storno-Zugtickets gebucht haben. Aber mein Wochenende wird trotzdem gut. Ich gehe dieses Jahr nicht auf die Leipziger Buchmesse, aber, nach einem Nachmittag des Hin- und Herüberlegens komme ich nicht herum zu sehen, dass es trotzdem eine gute nächste Woche wird.

Wie die meisten von euch am Montag mitbekommen haben, lag ich das Wochenende über mit einem grippalen Effekt im Bett. Momentan bin ich immer noch krank, aber es geht seit heute gesundheitlich wieder aufwärts — was erfahrungsgemäß heißt, dass ich nächste Woche um diese Zeit definitiv wieder fit sein sollte. Ich habe mich sehr lang auf das nächste Wochenende gefreut — nicht nur, weil ich ewig nicht mehr auf der Buchmesse war, sondern auch, weil ich eine ganze Menge Leute seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe. Und es gibt keinen Grund, nicht trotzdem alle Freunde wieder zu sehen — abgesagte Buchmesse hin, abgesagte Buchmesse her, sollte mein grippaler Effekt nicht entgegen aller Erwartungen wieder schlimmer werden.

Was ich nun also machen werde ist Folgendes: Ruhe bewahren und den Rest der Woche auf mich zukommen lasse. Sollte es mir — was ich erwarte — bis Anfang nächster Woche wieder gut gehen, fahre ich nach Leipzig. Sollte die Krankheit sich als hartnäckiger als erwartet herausstellen, bleibe ich Zuhause in Nijmegen. So einfach ist das. Die Buchmesse wurde abgesagt — was will man machen? Auf die nächste warten, in erster Linie. Und das Beste aus einem frei gewordenen Wochenende, gleich danach.

Ich bin in einer günstigen Position und ich bin mir durchaus bewusst, dass vor allem viele Fachbesucher das nicht von sich sagen können. Es gibt viele Autoren, Buchhändler, Lektoren, Verleger, Journalisten und größere Blogger als ich, die mit dem abgesagten Wochenende wesentlich mehr Geld und Zeit, ganz abgesehen von einem schönen Erlebnis verloren haben. Und viele private Besucher, die nun ihre Hotels oder Zugfahrten nicht mehr stornieren können und ohne Buchmesse nicht ganz so erpicht darauf sind, ein Wochenende in Leipzig zu verbringen. (Obwohl Leipzig wirklich schön ist — auch ohne Messe.)

Es ist traurig, dass die Messe abgesagt wurde — und ich verstehe, dass manche Leute nun wesentlich trauriger sind als ich, eben weil es nicht für jeden eine win-win-win-Situation ist. Aber egal welche Situation es nun sein wird, das einzige, was jedem übrig bleibt, ist auf die Frankfurter Buchmesse (oder Leipzig 2021) hoffen, dieses nun leere Wochenende so gut wie möglich füllen, nicht verzweifeln, auch wenn es aus dem ein oder anderen Grund vielleicht ein tieferer Schlag sein kann als ich mir gerade vorstellen kann (ich denke vor allem an die Leute, die auf der LBM Lesungen hatten und jetzt enttäuscht sind, dass die eben auch abgesagt wurden) und — zu guter Letzt und immer wieder — Hände waschen, Hände waschen, Hände waschen.

Bleibt gesund und habt einen guten Rest-Dienstag! (Ich verziehe mich jetzt wieder unter die Decke, dass es mit Leipzig nächste Woche doch noch klappt.)