Frankfurter Buchmesse 2020 – Ja, Nein, Jein?

Hallo meine Lieben und einen schönen Samstag an euch alle da draußen! Ich habe eben, gemütlich zum Wochenendstart (witziges Wort), durch meine Facebook-Timeline gescrolled (gescalled? gescwoooeweled? Ach, ich weiß doch auch nicht.) und dabei einen interessanten Artikel von der Hessenschau entdeckt. Titel: ’Frankfurt will Buchmesse im Corona-Jahr durchziehen’ — Hmm.

In erster Linie, bevor ich hier mit diesem Beitrag so richtig loslege, möchte ich anmerken, dass die Situation im Moment noch nicht abschätzbar ist. Wer weiß, wie die Lage in zwei Wochen, in zwei Monaten oder gar Mitte Oktober, wenn die FBM dieses Jahr stattfinden soll, eigentlich aussehen wird? Es ist momentan noch schwierig, abzuschätzen, wie das kommende Wochenende aussieht, definitive Aussagen über eine Buchmesse diesen Herbst zu treffen, ist also noch undenkbar. In diesem Sinne kann ich durchaus verstehen, dass die Veranstalter der Buchmesse alle möglichen Maßnahmen ergreifen wollen, die Buchmesse — sozial distanzierter, mit mehr Raum, vielleicht teils digital — doch noch irgendwie durchzuringen.

Ich verstehe, dass an dieser Messe große Summen Geld, die der Stadt Frankfurt und dem deutschen Buchhandel verloren gehen würden, hängen. Ich verstehe, dass nach Monaten des Lockdowns und einer bereits abgesagten Leipziger Buchmesse alle scharf auf die in Frankfurt sind und es vielleicht sogar in gewisser Weise Hoffnungen macht, dass die dieses Jahr bereits für tot-geglaubte FBM vielleicht — ja, ganz vielleicht, eventuell — doch noch stattfinden kann. Ich verstehe, dass Existenzen an dieser Messe hängen, dass die nicht-stattfindende LBM bereits ein herber Schlag für unsere heimische Buchlandschaft war und dass es, wie mit vielen Dingen im Leben, ’nicht so einfach ist’ — abzusagen oder durchzuziehen.

Aber wir haben es hier mit einer Messe zu tun, für die in Hunderttausenden aus allen Ecken Deutschlands und dem Rest der Welt angereist wird. Die FBM ist ein massives Event und offen gestanden kann ich mir beim besten Willen momentan wirklich nicht vorstellen, wie das — mehr Platz hin, mehr Platz her — dieses Jahr auf eine sichere Art und Weise funktionieren soll. Korrigiert mich, wenn dies nur meine Laien-Meinung ist und ich hier wichtige Punkte übersehe: Aber ist Herbst nicht Grippe-Zeit? War da nicht vor ein oder zwei Monaten irgendwann Gemunkel, es würde eine zweite verheerendere Corona-Welle im Herbst geben? Ist das noch aktuell? Ist das jetzt eine veraltete Information, weil man jetzt wieder draußen im Eiscafé sitzen kann? Habe ich was verpasst (außer mein komplettes Sozialleben der letzten zweieinhalb Monate)? Das ist eine aufrichtige Frage: Ich weiß es wirklich nicht. Korrigiert mich, wenn ihr mehr wisst!

Wunsch und Realität

Versteht mich nicht falsch, ich möchte wirklich wirklich wirklich sehr gern meinen normalen Rhythmus wieder. Und das so schnell wie möglich. Ich fände es super, wenn nächste Woche ein Impfstoff da wäre, übernächste Woche dann jeder immun ist und ich danach nie wieder eine Maske beim Einkaufen tragen muss. Das wäre toll. Für die Gastwirte und Einzelhändler, die jetzt um ihre Existenz kämpfen mussten und das immer noch tun, für die alten Leutchen, die wieder besucht werden könnten, die Geburtstage, die nicht mit der ganzen Familie gefeiert werden konnten (wie meiner beispielsweise auch, just saying). Ich wünsche mir eine Welt, in der Impfstoffe sofort verfügbar sind, in der Viren nicht einfach mutieren können und in der Buchmessen wie selbstverständlich stattfinden.

’Der Wunsch nach Normalität spiegelt nicht automatisch den tatsächlichen Stand der Dinge wieder.’

Ich habe die Nase genauso voll wie die meisten von Heimarbeit. Ich wäre dieses Jahr auch gern wie geplant in den Urlaub gefahren (lasse es jetzt aber aus einer Vielzahl an Gründen sein). Und ich denke, es gibt eine Menge Studenten und Abiturienten, Lehrern und Professoren da draußen, die mir zupflichten würden, wenn ich sage: Diese Krise hat auch uns viel abverlangt und Online-Unterricht ist unangenehm und es gibt Verzögerungen und viel Unsicherheit und das war alles wirklich Mist.

Aber (erneut) eben weil das alles so ein ziemlicher Mist war, bin ich mir nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, bereits für den Herbst eine Veranstaltung wie die FBM anzupeilen. Weil der Wunsch nach Normalität spiegelt nicht automatisch den tatsächlichen Stand der Dinge wieder. Nur weil ich mir — wie viele andere auch — nach zweieinhalb Monaten wirklich wünsche, dass alles vorbei ist, heißt das noch lange nicht, dass das auch der ganzen Wahrheit entspricht. Die Infektionszahlen sind gesunken, ja. Das ist toll. Wir kommen langsam aus der Isolation zurück, auch das ist toll. Schulen und Universitäten öffnen langsam wieder. Super. Großer Fan davon. Aber eine Messe ist doch ein ganz anderes Kaliber! Selbst wenn wir über eine Messe im Oktober reden.

Ist es wirklich wert, eine zweite Welle zu riskieren, damit die Frankfurter Buchmesse dieses Jahr stattfinden kann? Ist es wirklich wert, einen weiteren Ausnahmezustand zu riskieren? Bevor wir einen Impfstoff haben. Bevor wir abschätzen können, ob der Virus mutieren wird und vor allem wie sich die übrigen Infektionen gegebenenfalls mit einer Grippewelle hochschaukeln könnten? Ist das wirklich, für was wir alle die letzten Monate über Zuhause herumgehockt haben? Ist das wirklich, für was Menschen ihr Leben oder ihre Existenzgrundlage verloren haben? Und ist das wirklich, für was meine Freunde, die nun ihr Studium abschließen, tatsächlich jetzt ohne Arbeit dastehen, da zuvor abgesprochene Vereinbarungen aufgrund dieser ganzen Situation und finanziellen Einbußen wieder nichtig geworden sind? Ist das, wie wir die Dinge, die wir die letzten Monate über aufgegeben haben, den Preis, den viele bezahlt haben, nun wegwerfen wollen? Ich für meinen Teil, würde lieber dieses Jahr in kleinen und vorsichtigen Schritten zurück zur Normalität kommen, als etwas zu überstürzen und 2021 diese ganze Misere noch einmal zu durchlaufen. Bei aller Liebe.

Vielleicht irre ich mich — es ist sogar gut möglich, dass ich mich irre, was weiß ich schon über Viren? Vielleicht ist im Herbst alles wieder tutti paletti und wir lachen über die letzten paar Monate. (Obgleich ist das bei den vielen, die ihre Existenz oder ihre Angehörigen verloren haben, nicht ganz glauben kann.) Aber dafür, dass ich mir jetzt beim Anfassen der Eiskarte im Café die Hände desinfizieren muss und man keine Supermärkte ohne Masken mehr betreten darf, dafür, dass es noch nicht mal ganz raus ist, ob und inwiefern mein nächstes Studienjahr anlaufen wird und soweit ich informiert bin, diesen Sommer Hochzeitsfeiern mehr oder weniger Geschichte sind, dafür ist ’Wir ziehen die Buchmesse im Oktober durch!’ doch eine ziemlich optimistische Aussage. Man möchte fast meinen arrogant, wenn man bedenkt, dass man vor einem Monat in Norditalien noch Tote in andere Provinzen transportieren mussten, weil die Krematorien nicht mit dem Verbrennen hinterhergekommen sind.

Die Sache mit der Flexibilität

Im Statement des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels wird vermehrt auf das angebotene Konzept der Flexibilität verwiesen. Flexibilität bei der Anmeldung oder dem Absagen von Ständen. Wenn ihr mich fragt, dann ist Flexibilität dieses Jahr das Unwort des Jahres (gleich hinter ’Home Office’, auch wenn das zwei Worte sind). Flexibilität ist schön und gut, aber Flexibilität ist auch anstrengend — und die letzten Monate waren die reine Flexibilität. Ich bin flexibel mit Richtlinien, die sich alle paar Wochen ändern, weil ich verstehe, wieso man eben bei solch wichtigen Dingen im Moment nicht weit in die Zukunft blicken kann. Ich bin auch flexibel in meinen Arbeitszeiten, obwohl das für mich zermürbend ist und oft in viel weniger Produktivität und viel weniger Lohn resultiert als mit einem fixierten Ablauf im Büro.

Der ständige Ruf nach ’Flexibilität’ geht mir auf den Zeiger, weil es vollkommen außer Acht lässt, dass Flexibilität immer mindestens zwei (meistens mehr) Parteien betrifft und der Grad an Flexibilität der einen nicht immer mit dem Grad der Flexibilität der anderen überlappen muss. Was, wenn Verlage, Autoren, Blogger, Buchhändler, Journalisten und private Besucher jetzt auf dieses Angebot, das einem da vor der Nase gehalten wird, aufspringen wollen? Heißt das, wir dürfen uns jetzt alle vorbereiten? Ich darf jetzt wochenlang planen, vorbereiten, Zimmer und Zugtickets organisieren und mich durch ein (wenn ich das mal so sagen darf) noch recht unsicheres Programm arbeiten, aber was nun wirklich ist oder nicht, bleibt offen bis kurz davor? Ganz davon abgesehen, dass diese ’Flexibilität’ in gewisser Weise auch die Möglichkeit einschließt, dass die ganze Buchmesse vielleicht nicht stattfinden kann, was Ausstellern, die jetzt planen müssen, genau die selbe Misere beschwert wie die Leipziger Buchmesse. Mein Gott, die Planung beläuft sich doch nicht ausschließlich auf die Reservierung eines Standes!

Im Prinzip ist dieses Angebot der ’Flexibilität’ eine Form von ’Die Katze im Sack kaufen.’ Wenn ich mich jetzt darum kümmere, akkreditiert zu werden, und meine Pläne nach der Buchmesse ausrichte, weil ich als Person mit Manuskript dort gern Verlage und/oder Literaturagenten treffen möchte, dann weiß ich im Prinzip bis kurz vor der Buchmesse noch nicht ganz sicher, welche Verlage kommen und ob die Messe überhaupt stattfinden kann. Oder ob sich Hotelzimmer und Zugverbindungen im Zweifelsfall so einfach stornieren lassen oder ob mich das wieder Geld kosten wird. Kann man natürlich auch alles spontan buchen, aber dann für den dreifachen Preis — na vielen Dank. Ganz davon abgesehen, dass, wie oben bereits besprochen, noch nicht einmal raus ist, ob diese Buchmesse — selbst wenn sie stattfindet, selbst wenn viele Verlage kommen, selbst wenn ich dort als Fachbesucher Kontakte knüpfen kann — nicht eine einzelne Virenschleuder wird und wir danach von Frankfurt ausgehend eine wesentlich verheerendere Corona-Welle als die erste im Land haben.

Ein anderer Weg?

Ich schreibe das nicht, um den Börsenverein des Deutschen Buchhandels durch den Kakao zu ziehen oder weil ich die Frankfurter Buchmesse hasse — ganz im Gegenteil. Ich kann ihre Beweggründe und auch den Wunsch, die Buchmesse so normal wie möglich stattfinden zu lassen, sehr gut nachvollziehen. Ich schreibe das, weil ich glaube, dass das Wort ’Flexibilität’ momentan viel zu oft als Euphemismus für ’Unsicherheit’ benutzt wird und ich persönlich glaube, dass die Buchmesse ihrer Sache mit dieser Devise momentan mehr schadet als gut tut.

Wobei sich an dieser Stelle natürlich erneut anbietet zu betonen, dass dies eine absolute Laien-Meinung ist. Ich bin sicher, die Leute, die diese Entscheidungen treffen, haben viele schlaflose Nächste damit verbracht, sich das ganz genau zu überlegen (hoffe ich jedenfalls). Und ich glaube, dass die Organisatoren an dieser Stelle einen wesentlich besseren Einblick in die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten im Oktober besitzen als ich.

Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass niemand im Moment einen sonderlich guten Einblick in die Corona-Situation und was man im Oktober von ihr erwarten kann, besitzt. Das kritisiere ich. Nicht, dass Leute sich keine Gedanken gemacht haben. Sondern vielmehr dass es momentan noch stark danach aussieht als würden die Gedanken, die man sich machen kann, an ihre Grenzen stoßen. Und diese Grenzen reichen nicht bis Oktober — weshalb das Versprechen der ’Flexibilität’ für mich eine leere Aussage über etwas ist, über das man eigentlich noch gar keine Aussagen treffen kann. Jetzt noch nicht, jedenfalls.

Meckern ist natürlich immer einfach, weshalb ich mal einen eigenen Vorschlag in die Runde werfen möchte: Macht die Messe dieses Jahr digital. Und dann verkündet diese Entscheidung vielleicht nicht zwei Wochen vorher, sondern jetzt oder von mir aus Anfang Juni. Dann können sich Verlage und Agenten darauf einstellen, man hat genug Zeit zur Organisation und Fachbesucher und private Besucher wissen, woran sie sind. Ich wüsste wirklich gern mal wieder, woran ich eigentlich bin. Und ich habe genug von der ständigen Flexibilität, die einem in jedem erdenklichen Lebensbereich abverlangt wird.

Ist eine gut organisierte digitale Messe mit der echten Frankfurter Buchmesse im realen Leben zu vergleichen? Natürlich nicht! Aber das Jahr 2020 war ja bisher auch nicht mit 2019 oder 2018 zu vergleichen. Natürlich wäre es schöner, wenn wir zur Normalität zurückkehren könnten und im Herbst die Schrecken der letzten paar Monate bereits vergessen haben. Ja, absolut! Aber ist es realistisch und ist es fair den Leuten gegenüber, die jetzt herumorganisieren müssen, weil sie auf diese Plattform angewiesen sind? Ist es das Risiko wert, so kurz nach der ersten, noch nicht gänzlich abgeklungenen Welle und — ich betone es noch einmal — ohne Impfstoff? Ich persönlich glaube das nicht.

Das Problem bei der Leipziger Buchmesse war doch, dass alles schnell gehen musste. Dass es keine gute Vorbereitung für den Fall einer Pandemie gab, da sich Ereignisse überstürzt haben. Die Frankfurter Buchmesse ist jetzt in einer Position, diese Vorbereitung in eine alternative — und sicherere — Messe zu stecken, statt mit Biegen und Brechen auf dem Status Quo zu beharren. Vielleicht kann es dieses Jahr keinen Normalzustand geben, können wir darüber mal kurz nachdenken? Vielleicht ist es Zeit, zu akzeptieren, dass eine so massive Messe im Herbst in persona einfach nicht gesichert werden kann und es vielleicht besser ist, eine Alternative zu finden, über die man jetzt Aussagen trifft, die in zwei Wochen nicht bereits wieder nichtig sind.

Schlusswort

Ich möchte, dass diese Messe ein Erfolg wird. Und ich würde es ihr mehr als gönnen, würden die Veranstalter eine top organisierte Messe in Frankfurt auf die Beine stellen können, ohne damit eine zweite Corona-Welle auszulösen. Wirklich, ich bin auf eurer Seite. Aber von einem Standpunkt Ende Mai aus gesehen, sieht es danach aus als wäre das alles das Risiko nicht wert. Und dass die Organisation, die jetzt in eine halb-gewalchte Adaption der Messe in Frankfurt gesteckt wird, besser in ein gut organisiertes Online-Portal fließen sollte.

Dies ist keine leichte Zeit. Und sie hat uns allen Opfer abverlangt — manche groß, manche klein, manche reversibel und manche nicht. Ich halte jeden an, auch mit Lockerungen, weiterhin die Regeln, die noch bestehen, einzuhalten und Vorsicht walten zu lassen. Diese Krise ist, wenn ihr mich fragt, in Deutschland nicht so verheerend verlaufen, weil wir diesen Schritte in der Vergangenheit gefolgt sind. Lasst uns nun also vernünftig aus dieser Krise herauskommen. Schritt für Schritt, ein Restaurantbesuch nach dem nächsten, aber nicht unvernünftig und überstürzt. Es wäre, wie ich bereits oben erwähnte, eine Schande, sollten wir die Arbeit, die wir die letzten Monate über geleistet haben, nun so verschießen.

Doch wie seht ihr das? Denkt ihr, die Buchmesse sollte dieses Jahr lieber auf eine andere Art und Weise organisiert werden? Oder seid ihr überzeugt, dass der Herbst noch genug Puffer gibt, um eine tolle und sichere Messe in Frankfurt auf die Beine zu stellen? Lasst einen Kommentar da, eure Meinung interessiert mich sehr!

Mein Kommentar zur abgesagten Leipziger Buchmesse 2020, findet ihr unter diesem Link.