Die Montagsfrage #84 – Sollten weibliche Autoren mehr aus Sicht von weiblichen Protagonisten schreiben?

Hallo meine Lieben und willkommen zurück zu einer weiteren Montagsfragen-Woche. Was im Prinzip ja nur eine reguläre Woche ist, die (wie gewohnt) mit einer Montagsfrage startet. In diesem Sinne also: Willkommen zurück zu einer Woche. Und, um noch ein bisschen genauer zu sein: Willkommen zurück im Juni. Ja, wie die Zeit vergeht, ich weiß.

Mein Wochenrhythmus ist aufgrund des Feiertages und dem Fakt, das dies nun der Beginn einer der letzten Arbeitswochen dieses Studienjahres ist, ein bisschen aus der Bahn geworfen. Im positiven Sinne vielleicht, ich bin mir da noch nicht ganz sicher. In jedem Fall in einem Sinne, die mich letztes Wochenende vollkommen hat verschlafen lassen, die Montagsfrage vorzubereiten (weshalb es sein kann, dass diese Montagsfrage heute einige Minuten später als gewöhnlich veröffentlicht wird).

Ich denke, dass wir mit der heutigen Frage eine Menge zu entschlüsseln haben und ich hoffe, dass ihr euch auf dieses Thema so früh am Montag einlasst. Es ist eine Frage mit etwas mehr Herausforderung als die der letzten paar Wochen, aber ich denke, spätestens nachdem ich sie selbst beantwortet habe, ist es vielleicht klarer, wo ich eigentlich mit ihr hin will. Also ohne noch weiter um den heißen Brei herumzureden:

Sollten weibliche Autoren mehr aus Sicht von weiblichen Protagonisten schreiben?

Wie bereits erwähnt, bin ich mir durchaus bewusst, dass sich dies so früh am Montagmorgen fast schon wie eine kontroverse Frage lesen kann. Was es im Prinzip nicht ist. In jedem Fall, bear with me. Für mich persönlich spricht diese Montagsfrage genau drei weiter ’Unterfragen’ an. Nämlich, erstens, Sollten wir generell mehr Literatur von weiblichen (oder non-binaren) Autoren gelesen, weil die Perspektiven dieser Autoren innerhalb der letzten Jahrhunderte (und Jahrtausende) oftmals nicht zur Sprache gekommen sind? (Das selbe gilt für Literatur von POC, LGBTQ+ Autoren und anderen Menschen, die innerhalb der letzten Jahrhunderte kaum eine Stimme gehabt hätten, ich habe nur hier das Geschlechter-Beispiel gewählt.), zweitens, Sind weibliche Autoren die einzigen, die ihre Perspektiven deutlich machen können? und, drittens, Brauchen wir dazu per se eine weibliche Protagonistin?

Also, nehmen wir das jetzt mal einzeln auseinander. Sollten wir mehr von weiblichen Autoren lesen? Jein. Vorausgesetzt es ist eine gute Autorin, absolut. Wenn es ein furchtbares Buch ist, dann würde ich auch bei einer weiblichen Autorin die Hände davon lassen. Ich bin noch nicht ein Mal in meinen Leben in einen Buchladen gegangen, um gezielt ein Buch nach dem Geschlecht des Autors zu kaufen. Und ich glaube, dass die Bücher, die ich lese, generell ein sehr guter Mix sind. (Ich müsste das nun auszählen, um wirklich eine Aussage treffen zu können, aber sagen wir jetzt einfach der Einfachhalt halber, dass ich gefühlt einen guten Mix lese.) An dieser Stelle muss allerdings betont werden, dass dies ein Privileg ist. Ich kann in den Buchladen gehen und mir aussuchen, die Perspektive eines weiblichen oder männlichen Autors zu lesen, weil beide Perspektiven in Deutschland 2020 zulässig sind und veröffentlicht werden. Man kann sich darüber streiten, ob sie tatsächlich gleich zulässig sind und ob es biases gegenüber Frauen, die in bestimmten Genres veröffentlichen, gibt (die gibt es sicher, dazu kenne ich mich aber zu wenig damit aus, um hier eine wirklich gut informierte Antwort zu geben). Aber ganz theoretisch kann ich eine Frau lesen und aus meiner privilegierten Sichtweise kann es mir sogar egal sein, wer das Buch geschrieben hat, solang es mich anspricht.

Nun zur zweiten Frage: Haben Frauen eine einzigartige Perspektive, die mir männliche Autoren nicht bieten können? Absolut. Jeder hat eine einzigartige Perspektive und, wiederum, die Tatsache, dass es nicht nur dem Teil der Bevölkerung mit Penis und Bartwuchs gestattet ist, ohne größere Probleme (relativ und hier) seine Meinung kundzutun, ist doch toll. Rein statistisch gesehen würden wir ja 50% der interessanten Geschichten verlieren, wenn nur Männer Bücher schreiben könnten. Das ist noch nicht sehr lange so, man möge sich das im Gedächtnis behalten. Denn realistisch-statistisch gesehen, haben wir für ein paar tausend Jahre 50% der interessanten Ideen verpasst.

Ich kaufe allerdings, möchte ich betonen, keine Bücher, weil ich eine weibliche Perspektive oder eine männliche Perspektive hören will. Sondern weil mich die Perspektive, die Erzählform, kurzum: die Geschichte, die diese Person da erzählt, interessiert. Es ist mir zum einen im Prinzip gleichgültig, ob eine Frau, ein Mann oder eine non-binary-Person mich an einer starken Perspektive (und einer bewegenden Geschichte) teilhaben lässt. Zum anderen muss man sich allerdings auch durchaus bewusst sein, dass viele der Leute, die heute publizieren, das aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Geschlechtsidentität, ihrer Sexualität oder auch ihrer Hautfarbe lange nicht konnten. Wir also viele Jahrhunderte lang nie diese Perspektiven gelesen haben und es wertvoll ist, dass wir das nun immer mehr können.

Auch wenn letztendlich jedes Buch, das von einer Frau heute veröffentlicht wird, ein Produkt feministischen Emanzipation ist (ob es den Frauen selbst gefällt oder nicht), heißt das natürlich noch lange nicht, dass jedes Buch, das von einer Frau geschrieben wird, Feminismus als zentrales Thema hat. Und wenn ihr mich fragt, ist das auch vollkommen okay. Feminismus ist ein wichtiges Thema und Sexismus ist ein großes Problem. Und wir sollten mehr darüber sprechen. Aber die Freiheit, dass ich selbst als weibliche Autorin darüber frei schreiben oder nicht schreiben kann, ist zumindest aus meiner bescheidenen Meinung heraus eine gute Sache und Zeugnis für den Fortschritt, der bereits geschehen ist.

Ich muss mich beim Schreiben nicht in die Kategorie meines Geschlechts pressen lassen (oder jedenfalls hoffe ich das nicht zu müssen, denn persönlich finde ich die Idee, in erster Linie vor allem anderen eine ’Frau’ zu sein, recht einseitig und öde). Ich kann als Individuum schreiben und nicht als Teil einer Gruppe, deren ich mir hyperbewusst bin. Und, wieder, ist das ein Privileg (ich benutze das Wort heute sehr häufig, ich weiß, aber ich kenne keinen besseren Ausdruck dafür). Genauso wie es ein Privileg ist, dass ich genauso gut sehr offen über Feminismus schreiben könnte. Nicht, dass es jedem gefallen würde und nicht, dass jeder dasselbe tun kann, weil er und vor allem sie um Gesundheit und Sicherheit fürchten müsste, aber ich kann es. Gebaut auf den Schultern von Generationen von Frauen vor mir, die es trotz gesellschaftlichem Gegenwind getan haben — und immer noch tun.

Die ersten beiden Fragen also zusammengefasst: Ich suche keine Bücher gezielt nach Geschlecht und daraus folgender individueller Perspektive aus. Das ist ein Privileg, das ich einer langen und entbehrungsreichen historischen Entwicklung, die von mutigen Individuen vorangetrieben wurde, zu verdanken habe. Es ist nicht perfekt, wir sind noch lange nicht an dem Punkt, an dem diese Probleme verschwunden sind, aber wir können über sie reden (oder auch nicht über sie reden) — und das ist schon mal viel wert. Also: Sollte ich nun als Autorin, egal ob ich nun zentral über Feminismus schreibe oder nicht, weibliche Protagonisten in den Vordergrund rücken? Erneut: Jein.

Wir haben viele Jahre lang (viele, viele Jahre lang) eine weibliche Protagonisten-Perspektive nur aus der Feder eines männlichen Autors gelesen. Das heißt nicht, dass es eine schlechte Perspektive ist — oder eine falsche. Das heißt nur, dass es keine ’first hand’ Perspektive ist. Ich kenne viele gute männliche Autoren (z.B. Rick Riordan), die starke Frauen schreiben. In diesem Fall nun als Nebencharaktere, aber hey, wir haben Representation. Immerhin. Representation ist wichtig, ob sie aus der Feder von weiblichen und/oder männlichen Autoren kommt und egal, worauf sie sich bezieht (Geschlecht, Sexualität, Behinderung, Hautfarbe, Nationalität etc.). Das macht die Welt der Bücher bunter und sie räumt mehr Menschen in der echten Welt eine Stimme ein. Ist die Stimme aus direkter Erfahrung des Autors entstanden, umso besser.

Nun muss ich an dieser Stelle allerdings ganz offen zugeben, dass ich selbst innerhalb der letzten Jahre primär aus Sicht männlicher Hauptcharaktere geschrieben habe. Ich habe dreidimensionale und starke (hoffe ich zumindest) weibliche und non-binary Nebencharaktere in meinen Büchern, aber tatsächlich nur ein geplantes Buch, bei dem ich aus der Sicht einer Protagonistin schreibe. Ich kann euch nicht sagen, wieso genau das so ist, außer dass es sich für mein Schreiben einfach richtiger anfühlt. Ich kenne meine Charaktere und ihre Sichtweisen schon eine ganze Weile — und es sind nun einmal Männer (zwei Stück, ich schreibe aus einer gesplitteten Perspektive, für alle, die das vielleicht interessiert).

Es waren in meinem Kopf immer Männer. Nicht, weil ich denke, dass es nicht bereits genug männliche Perspektiven da draußen gibt, sondern weil ich als Individuum (und als Frau, ja, das bin ich nun mal) entschieden habe, dass ich meine Perspektive gern in dieser Form kundtun möchte. Und weil man in einer Fantasy-Welt mit einer eigenen Gesellschaft, die sich von der unseren unterscheidet, einige Aspekte, die auf Frauen zutreffen auch gut auf Männer drehen kann. Und ohne Probleme damit durchkommt, Männern Probleme zuzuschreiben, die historisch nur Frauen haben (und andersherum) — und sie dadurch ausgezeichnet deutlich machen kann. Fantasy ist toll. (Mein Buch ist übrigens, ebenfalls für alle, die es interessiert, kein feministisches Manifest, ich drehe nur gern Klischees und breche mit gängigen Plots, nicht nur auf Geschlechter bezogen. Einfach, weil das interessant ist — und sehr unterhaltsam.)

Wie ihr euch also an dieser Stelle bereits zusammenreimen könnt, ist es mir schnuppe, ob Autorinnen nun einen Protagonisten oder eine Protagonistin haben (und andersherum). Mir ist allerdings durchaus wichtig, dass weiblichen Charakteren (wie den meisten männlichen) eine Persönlichkeit, die nicht alle Punkte der Klischee-Box abhakt, zugesprochen wird. Ob das nun Neben- oder Hauptcharakter ist, geschrieben von Mann, Frau oder anders. Vollkommen egal. Aber jeder Charakter, unabhängig von Geschlecht(sidentität), Sexualität, Nationalität oder Hautfarbe sollte keine Karikatur sein, wenn weiß, männlich, hetero und Hauptcharakter eine farbenfrohe Hintergrundgeschichte hat (und selbst wenn dem nicht so wäre — aber dann ist es vielleicht im Allgemeinen nur ein furchtbar schlechtes Buch und kein spezifisch diskriminierendes). Wenn man zu faul ist, Arbeit in die Persönlichkeiten der Nebencharaktere zu stecken (vor allem in Nebencharaktere von historisch unterdrückten Geschlechtern oder Nebencharaktere, die Minderheiten zugehören), dann sollte man Kurzgeschichten schreiben. Oder moderne Romane. Ihr wisst schon, irgendwas wo Nebencharaktere gleich vollkommen ausgelassen werden. Das ist besser als einen schlechten Job mit ihnen zu machen. Was natürlich genauso auf die Hauptcharaktere zutrifft. Wenn man sie nicht dreidimensional machen kann, dann sollte man es mit dem Schreiben noch ein bisschen lassen und vielleicht ein bisschen mehr nachdenken. Aber gut.

Nun habe ich schon einen halben Roman geschrieben (wortwörtlich und metaphorisch, jetzt hier auf dem Blog) und trotzdem noch nicht einmal respektabel an der Oberfläche gekratzt. Ach ja, es ist schon ein komplexes Thema. Von dem ihr euch, wie ich hoffe, nicht abschrecken lasst. Nicht jede Montagsfrage ist so komplex, die heutige ist halt mal sehr komplex (es kommen auch wieder leichtere — und, versprochen, ein paar, über die man mehr nachdenken muss; die Mischung macht es schließlich).

Ich hoffe, ihr habt mit der heutigen Frage viel Spaß, egal, ob ihr sie auslegt wie ich oder auf eure Art und Weise uminterpretiert. Ich freue mich auf eure Antworten (und hoffe, ihr seht mir nach, dass ich im Zuge der Montagsfrage so recht ‚kurz‘ zusammengefasst habe. Es gibt darüber noch viel mehr zu sagen, aber das sprengt wohl jetzt gerade ein bisschen den Rahmen)!

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Noch nicht genug von der Montagsfrage? Hier geht es zur Montagsfrage der letzten Woche und hier zur Liste aller auf diesem Blog erschienenen Montagsfragen.

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