Psychologiestudium oder nicht, das ist hier die Frage! Oder zumindest, desto weiter der September vorüber zieht, wird es das so langsam. Vor fast einem Jahr habe ich mich dazu entschlossen, die Psychologie vorerst an den Nagel zu hängen und mich darauf zu konzentrieren, Tätigkeiten nachzugehen, die sich nicht so anfühlen, als hätte Dante Alighieri die Konzeptleitung übernommen.
Ganz so schlimm, sind wir ehrlich, ist die Psychologie vielleicht auch nicht. Vielleicht sogar ganz im Gegenteil. Ich kenne eine menge Leute, die für das Fach brennen – und das ist auch gut so. Es gibt durchaus Bedarf an motivierten Psychologen. Und an kompetenten. Ein Königreich, sage ich immer, für einen kompetenten Psychotherapeuten, einen guten HR-Manager, und einen für sein Fach brennenden Forscher. Die Psychologie kann viel, sehr viel. Denkt man eigentlich gar nicht. Und da ich momentan Michael Lewis’ ’The Undoing Project’ über die Bromance zwischen Daniel Kahneman und Amos Tversky lese, habe auch ich fast schon wieder ein bisschen Lust, die Welt durch die Magie des Studiums des menschlichen Geistes zu verbessern. ’Fast’ sei hier das Schlüsselwort. Aber immerhin: fast.
Das ist natürlich der wöchentliche Niederländisch für Anfänger-Beitrag, aber so nebenbei kann ich ’The Undoing Project’ übrigens wirklich jedem ans Herz legen. Es geht um ein Thema, nämlich biases, das mich persönlich in der Psychologie nie wirklich interessiert hat. Wahrnehmung war keine Sparte, mit der ich irgendwann einmal auf einen grünen Zweig gekommen wäre. Und auch wenn Statistik zwischendurch auch Spaß gemacht hat, in die top drei meiner absoluten Lieblingsthemen innerhalb der Psychologie hätte ich es jetzt auch nicht gesteckt. ’The Undoing Project’ behandelt allerdings genau das: Themen, die mich nicht reizen, innerhalb eines Faches, das mir die letzten Jahre über so zuwider geworden ist, dass ich mein Brain & Cognition Buch momentan immer noch nur mit Schweißbrille und Kneifzange anfassen würde.
Dass das Buch trotzdem lesens- und liebenswert ist, hängt allerdings weder mit dem Themen-, noch mit dem Fachbereich zusammen. Es ist gut geschrieben, aber das ist im Prinzip auch eher zweitrangig. Was es gut macht, lesenswert und faszinierend, sind seine Protagonisten. Daniel Kahneman und Amos Tversky also, wie bereits erwähnt. Und wie schön man ihnen beim Dinge mit voller Leidenschaft tun, zusehen kann. Das Buch macht Spaß zu lesen, weil Kahneman und Tversky ihr Ding gefunden haben – und einander. Und man mit jedem Kapitel mehr eintaucht in eine Welt, die man weder verstehen noch selbst lieben muss, um von der Begeisterung ihrer Schaffer angesteckt zu werden.
Nennt mich altmodisch, aber ich mag es, wenn Menschen in ihrem Element sind. Ich kann mir, wenn ich ganz ehrlich bin, nicht viel Besseres vorstellen, als jemand, der genau seine Nische gefunden hat. Sein Ding, seine Richtung, seine Passion. Ich dachte für eine ganze Weile, Psychologie wäre die meine. Oder dass dort zumindest Potenzial für eine zweite wäre, eine Mini-Passion, neben dem Schreiben. Und wer weiß? Vielleicht bin ich der falschen Fachrichtung innerhalb der Psychologie nachgejagt. Vielleicht wollte ich eine Art von Psychologe sein, der ich einfach nicht sein kann, und wäre unter besserer Fächerwahl ein toller Psychologe geworden, nur eben in einer Nische, die ich nie wirklich in Betracht gezogen habe. Das Feld ist weit. Wer weiß schon, ob ich nicht irgendwo doch hineingepasst hätte. Oder noch hineinpasse. Eingeschrieben bin ich ja noch.
Ja, Psychologie studieren oder nicht, das ist hier die Frage. Es ist momentan eine Frage ohne leichte Antwort. Ich mag Geschichte sehr gern, viel mehr als ich Psychologie je gemocht habe. Aber sollte ich nicht vielleicht doch noch diesen anderen Bachelor beenden? Bereut man nicht immer mehr die Sachen, die man nicht gemacht hat, als die, die man gemacht hat? Aber welche Untätigkeit würde ich nun mehr bereuen? Keinen Schlussstrich gezogen zu haben oder nicht weiterzumachen? Was hat wohl eher Potenzial, mich in dreißig Jahren eine Nacht lang wach zu halten und die Frage des Was wäre wenn? über meinem Kopf schweben zu lassen? Hoffentlich keine, das ist ja das ganze Ziel, in Verbindung mit diesem gottlosen Studium. Man darf doch bitten, dass ich in dreißig Jahren auf meine verflossenen Jugendjahre zurückblicke und mir jedes einzelne davon vollkommen schnuppe sein wird. Ich möchte mir bitte im Leben nie wieder Gedanken darüber machen, wie es wäre, noch mal neunzehn zu sein. Neunzehn zu sein war scheiße. Mit zweiundzwanzig wiederum kann ich mittlerweile doch ganz gut leben. Und zweiundzwanzig, um den Kreis zu schließen, zeichnet sich momentan vor allem dadurch aus, eine recht Psychologie-freie Zone meines Lebens zu sein.
Psychologie studieren oder nicht. Schlussstriche ziehen oder den Dingen noch einmal eine Chance geben. Eine andere Fachrichtung vielleicht. Ein kleiner Kurs nach dem anderen. Flux nebenbei. Sozusagen als akademische Freizeitbeschäftigung. Ein Psychopharmakologie-Examen hier, ein Paper über den Frontallappen da. Kann ja nicht schaden. Und wer weiß, vielleicht hätte ich über Umwege dann doch irgendwann zwei Bachelor vorzuzeigen und nicht nur einen. Schlimmer als mein Brain & Cognition 1-Kurs kann es nicht mehr werden – und immerhin, das ein oder andere habe ich ja in diesen drei Jahren des aktiven Studiums auch gelernt.
Vielleicht hat der ein oder andere Leser dieses Beitrages an dieser Stelle schon eine eigene Meinung darüber ausgebildet, ob es eine bessere Entscheidung für mich wäre, Psychologie weiterzustudieren oder endgültig sein zu lassen. Oder es ist euch einfach nur vollkommen gleichgültig, welchen Weg ich nun gehe, solang ich glücklich bin (oder meine Erfahrungen weiter in Schachtelsätzen heruntertippe). Mir ist es im Prinzip auch egal, welchen Weg ich letztendlich gehe, solang ich mit besagtem Weg glücklich bin. Aber welcher Weg das jetzt ist, das ist ja die Frage ohne klare Antwort. Aber wenn mir mein blödes Ex-Studium eins beigebracht hat, dann das man Entscheidungen von solcher Gewichtigkeit nicht rational entscheiden kann. Zu groß, zu viele Variablen, zu wenig Gehirnkapazität. Lebensentscheidungen trifft man am besten mit Bauchgefühl und nicht mit allzu viel mentalem Hochgerechne. Das habe nicht ich mir ausgedacht, das ist wissenschaftlich breit erforscht und belegt. Entscheidungsforschung, ironischerweise hoch beeinflusst von – ihr ahnt es bereits – Kahneman und Tversky.
Mein Bauchgefühl muss nicht mit dem Beginn vom Oktober einsetzen. Ja, eigentlich nicht einmal mit dem November. Oder vor Ende diesen Jahres. Eine klare Antwort über das Richtig und Falsch bekomme ich wohl nie und eine Bauchgefühl-Antwort kommt irgendwann so oder so, ob es mir gerade in den Terminkalender passt oder nicht. Momentan würde es mir ganz gut in den Terminkalender passen. Damit ich endlich weiß, was genau mit dieser Immatrikulation zu tun und zu lassen ist und was ich meiner Familie im Dezember beim Weihnachtsessen erzählen kann. Geschichte: toll. Psychologie: großes Fragezeichen. Wo geht es hin? Wo bleiben wir fixiert?
Das Einzige, was momentan recht klipp und klar feststeht, ist, dass nichts wirklich klipp und klar feststeht. Ich weiß nicht, ob ich Weihnachten weiß, was ich mit diesem Studium mache. Herrgott, ich weiß nicht einmal, ob ich Weihnachten weiß, ab welcher Schälchennummer man genug Pudding zum Weihnachtsessen-Nachtisch gegessen hat. Ich glaube nicht wirklich an fortschreitende Weisheit mit den Lebensjahren, aber ich glaube durchaus an eine viel leisere fortschreitende Weisheit mit jedem einzelnen Tag. Und vielleicht ist das Warten auf einen Aha-Moment unrealistisch und man muss sich ins Leben stürzen, das Beste daraus machen und an den Erfolgen und Misserfolgen wachsen. Vielleicht muss man manchmal Entscheidungen treffen, ohne sich den Entscheidungen vollkommen sicher zu sein. Und vielleicht ist die Erkenntnis, dass man sich keiner Entscheidung wirklich je sicher sein kann, ein gleichzeitig ernüchternder und befreiender Part des Erwachsen-Werdens.
Aber bis es soweit ist, bis ich mich in Kurse einschreibe und nach langer Zeit wieder das erste Psychologie-Paper in die Hand nehme, bis ich mich den potenziellen Erfolgen und Misserfolgen meiner eigenen unsicheren Entscheidungen stellen muss, bis ich weiß, wohin das Leben geht und bevor ich ganz erwachsen werde. Ja, bevor wir diesen Punkt erreichen, esse ich eine große Schale Pudding und denke mir, eingewickelt in meine Decke, gerade zwischen zwei Monaten und noch weit genug von Deadlines entfernt, um jetzt noch keine finalen Entscheidungen treffen zu müssen: Was sein wird und was nicht, das ist vollkommen offen. Und so sehr es mir in der Vergangenheit Angst gemacht hat, gerade fühlt es sich doch recht befreiend an.